Geschlechtsneutral

Welch Wort! Geschlechtsneutral. Kein Mensch ist es. Wir sind hetero, nur das eine oder nur das andere oder bi. Obwohl auch Letzteres bestritten wird, da Männer auch feminine und Frauen auch maskuline Teile leben. Und doch müssen wir nun in der behördlichen Korrespondenz aufgrund einer Frauenförderrichtlinie geschlechtsneutral" formulieren, wo immer es geht

Damit es kein Missverständnis gibt: Ich kultiviere Männer und besonders Frauen in (fast) allen Anreden, ziehe aber die volle Nennung vor: Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das macht manche Menschinnen und Menschen ungeduldig, aber ich bin von Frauen erzogen worden und würdige sie, wo ich kann. Schon weil ich ein Mann bin (mit femininen usw. siehe oben.) Aber geschlechtsneutral"?

Von einer Behörde erfahre ich jetzt, dass Geschlechtsneutralität bevorzugt werde, weil die Nennung beider Geschlechter zu umständlich sei und vor allem auf die Dauer zu viel Papier aufbrauche, Und ich wusste ja: Finanzieller Wildwuchs auch mit Papierverschwendung. Kopierkosten und die bedrohten Bäume in den Regenwäldern und die mit bedrohten Menschen, die manchmal auch auf ihnen sitzen, um zu schützen: Also bitte Geschlechtsneutralität.

Doch was lese ich heute? Eben jene Behörde schickt ein 4-Seiten Protokoll (in Worten: Vier) nochmals zu. Mit der Begründung, die erstversandte Fassung sei nicht geschlechtsneutral genug. Statt ,,Vizepräsident" – nein, nicht „Vizepräsidentin"! - es muss „Vizepräsidentschaft" heißen. Also nochmal Kosten für Neuschreiben, nochmal Kopierkosten, nochmal Briefmarken für Versand für geschätzt 60 Adressen, macht 60 x 4 Seiten macht 240 Seiten Papier.

Gehen wir einmal davon aus, dass ein Fehler sich grundsätzlich wiederholt je unbedingter er vermieden werden soll, ja dass er sich umso mehr häuft, der Fehler, je verzweifelter Energie investiert wird, um es ja richtig zu machen - dann steht mir die Wiederholung von Sendungen dieser Art haufenweise ins Haus.

Sagte ich bereits, dass von derselben Behörde einen Tag später ein Rundschreiben kam (wieder mit einem Fehler in der geschlechtsneutralen Formulierung!), welches die Referentinnen und Referenten, die Dezernentinnen und Dezernenten der Behörde zur Einsparung von Kopierkosten verdonnert? Eine Million Kopien sei zu viel, sei unmöglich, wir müssen sparen und weniger Kopieren. Letztlich wegen des Regenwaldes.

Sagte ich auch schon, wer in dieser Behörde die letzten unsagbaren Fehler in Sachen Geschlechtsneutralität machte? Nein? Es waren jeweils - Frauen! Was bin ich froh, dass es keine Männer waren, geschlechtsneutrale Männer.

PS: Zur Beruhigung für Einheimische: Es ist keine Behörde des unmittelbaren Umfeldes. Hier geht man noch - na, lassen wir’s.

 

4. April 2000